Forst & Kultur

Wiener Straßennamen mit Wald-/Baumbezug

Jedes Jahr sind zahlreiche Straßen neu zu benennen. Die Wahl fällt dabei oft auf Pflanzen – auf Blumen ebenso wie auf Sträucher und Bäume. Im WienGeschichteWiki, das von der Wienbibliothek und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv betreut wird, sind unter anderem folgende Straßennamen mit Wald- und Baumbezug zu finden:

  • Akaziengasse – “nach dem gleichnamigen Baum”
  • Alleegasse
  • Am Auwald – “benannt (10. Mai 2016 Gemeinderatsausschuss für Kultur, Wissenschaft und Sport) nach dem Flurnamen”
  • Baumgasse – “benannt (1899) nach den in dieser Gegend gepflanzten Obstbäumen, jedoch als Straßenzug seit dem 17. Jahrhundert nachweisbar”
  • Baumschulweg – “nichtamtliche Bezeichnung”
  • Birkenstraße
  • Bonsaigasse – “benannt (1. März 2005 Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft) nach einen Baum, der durch unterschiedliche gärtnerische Maßnahmen einen kleinen Wuchs beibehält”
  • Buchengasse – “benannt (17. Mai 1872 Gemeinderat) nach den Buchenwäldern, die den Laaer Berg bedeckten; anderen Aussagen (Autengruber) zufolge soll diese Baumart (Fagus Sylvatica) auf dem Laaer Berg nicht heimisch sein”
  • Eibengasse – “benannt (17. Juni 1953 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Nadelholzbaum (Taxus baccata)”
  • Eichenstraße – “benannt (5. Juli 1894) nach zwei Eichen, die bei der Einmündung der Wilhelmstraße standen”
  • Erlenweg – “benannt (2. November 1966 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Baum Erle (Alnus)”
  • Eschenallee – “benannt (10. April 1929 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach einer in der städtischen Wohnhausanlage George-Washington-Hof angepflanzten Esche (Fraxinus)”
  • Föhrengasse – “benannt (2. Juni 1965 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Nadelbaum”
  • Forsthausplatz – “benannt (1920, vorher nichtamtlich) nach dem Brigittenauer Forsthaus”
  • Forstmeisterallee – “trug ihren Namen nach dem an ihr gelegenen Forsthaus im Prater”
  • Fuchsenzeile – “benannt (11. Jänner 2001 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Wildtier”
  • Hirschengasse – “benannt (1827) nach dem Gasthausschild ‘Zum Hirschen'”
  • Holzlagerplatz – “Die Roßau besaß vom Neutor bis zur Spittelau einen ausgedehnten Holzmarkt, die Zulieferung erfolgte vor allem mittels Flößen oder Schiffen auf dem Wasserweg (neben der Donau auch Wien und Wiener Neustädter Kanal) und hier wieder (noch im 19. Jahrhundert) vorwiegend mit dem Ziel Roßau [1865 waren von 1.504 in Wien ankommenden Flößen 1.002 für die Roßau bestimmt]; Holz war noch im 19. Jahrhundert die wichtigste Energiequelle der Haushalte. Die Entladung der Schiffe besorgten die Holzscheiber (auch Strabler genannt; strabeln = eilen), die von Holzsetzern beaufsichtigt wurden”.
  • Jagdgasse – “benannt (Vorschlag des Bezirksamts Margareten von 15. September 1862) im Zusammenhang mit den noch um 1860 hier abgehaltenen Hasenjagden”
  • Jagdschlossgasse – “benannt (10. Juli 1894) nach dem kaiserlichen Jagdschloss in Lainz (um 1830)”
  • Jägerhausgasse – “benannt (5. Juli 1894 Stadtrat) nach dem ehemaligen kaiserlichen Jagdschloss in der Nähe des Hetzendorfer Schlosses”
  • Kiefernplatz – “benannt (16. Februar 1955 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Nadelholzbaum (Kiefer)”
  • Krummbaumgasse – “benannt 1862 nach dem Hausschild ‘Zum krummen Baum’; wohl unter Bezugnahme auf einen tatsächlich hier gestandenen Baum”
  • Maulbeergasse – “benannt (13. Jänner 1954 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem aus Persien stammenden gleichnamigen Baum (Morus) mit schwarzen, essbaren Früchten, dessen Blätter Hauptnahrungsmittel der Seidenraupen sind”
  • Nußwaldgasse – “benannt (18. Juli 1894 Stadtrat) zur Erinnerung an den reichen Bestand an Nussbäumen in dieser Gegend (Flurname)”
  • Oleandergasse – “benannt (19. Mai 1954 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem im Mittelmeergebiet und in Asien beheimateten gleichnamigen Strauch und Baum (Nerium oleander)”
  • Pappelweg – “benannt (16. Jänner 1978 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Laubbaum (Populus)”
  • Rehlackenweg – “benannt (4. Februar 1959 Gemeinderatsausschuss für Kultur)) nach dem einstigen Sammelplatz von Rehen bei einer kleinen Lacke”
  • Robinienplatz – “benannt (16. Februar 1955 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Baum (‘falsche Akazie’)”
  • Tannengasse – “benannt (um 1864/1869) nach einem historischen Baumbestand in dieser Gegend”
  • Thujagasse – “benannt (13. Jänner 1954 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach dem gleichnamigen Nadelholzbaum (Zierbaum mit schuppenförmige Blättern, auch Lebensbaum genannt)”
  • Zirbenweg – “benannt (5. Juni 2007 Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft) nach dem Baum (Pinus cembra)”

Dazu kommen zahlreiche Straßennamen mit Sträuchern – u.a. Buchsgasse, Fliedergasse, Ligusterweg, Mispelweg, Myrthengasse, Rosmaringasse, Schneeballenweg, Tamariskengasse, Weidenweg und Weißdornweg. Übrigens: Nicht alle dieser Straßen heißen heute noch so.

Weiterschmökern auf geschichtewiki.wien.at.


Wald in Russland: “Halbdunkel, Illegalität und Bedrohung”

Thomas Claveirole: Chute #3, train 110, Russie, juillet 2010. Flickr, CC-BY-SA. Schwarz-Weiss-Bild eines Walds in Russland Thomas Claveirole: Chute #3, train 110, Russie, juillet 2010. Flickr, CC-BY-SA

In der Zeitschrift Archiv für Kulturgeschichte 78 (1996) 2 bin ich auf einen interessanten Artikel über Waldpolitik in Russland gestoßen: “Straße und Wald im Zarenreich” von Christoph Schmidt. Der Artikel ist leider nicht frei verfügbar – ich konnte ihn erfreulicherweise online über die Universitätsbibliothek Wien beziehen. Zum “Gustomachen” zitiere ich hier den Anfang:

Am 14. Oktober 1735 erließ der Petersburger Senat den Befehl, an der Landstraße nach Moskau stellenweise die Bäume zu roden, um die Fahrbahn auf dreißig Saien (ca. sechzig Meter) zu verbreitern. Zweck dessen war der Versuch, den Schutz der Reisenden vor Überfällen zu erhöhen. Diese Anordnung, die man vorderhand als Eingeständnis einer versagenden Strafverfolgung begreifen kann, läßt sich ebenso als Hinweis auf zwei Antagonisten auffassen: Weicht einer zurück, setzt der andere nach. Dabei verkörpert das Medium “Straße” Eigenschaften wie Tageslicht, Technik und staatliche Ordnung, während sein Opponent “Wald” für Halbdunkel, Illegalität und Bedrohung steht. Zwischen Straße und Wald scheint sich damit ein tiefreichender Gegensatz aufzutun.

Schmidt beschreibt auch rechtliche und politische Maßnahmen zum Schutz des Waldes, zur Deckung des Holzbedarfs etc. Mit Wald verbundene Steuerpolitik, die Einrichtung eines eigenen Forstdepartements im Finanzministerium, die Gründung von Forstschulen und vieles mehr kommen ebenfalls vor.

Bäume und Waldgeister in russischen Mythen

Besonders interessant fand ich auch die erwähnten Baum- und Waldmythen:

Geradezu überraschende Vielfalt hatte sich auf immaterieller Ebene ausgebildet, da benachbarte Kreise oftmals unterschiedliche Baum- und Waldmythen kannten. Im Gouvernement Orel erzählte man sich beispielsweise davon, daß manche Eiche einen habgierigen Menschen gefangen halte; bei Smolensk hieß es, eine Begegnung mit der Frau des Waldgeistes nach deren Niederkunft berechtige dazu, sich von ihr Geld zu wünschen. Wer darauf hereinfalle, werde erleben, wie die von ihr erhaltenen Münzen nach Verlassen des Waldes zu Kohle würden. Wer sich jedoch als bescheiden erweise und der Versuchung widerstehe, dem bleibe fortan das Glück treu. In beiden Fällen wurde der Wald zur moralischen Instanz verklärt, die vermeintlich Maßlose zur Rechenschaft zog.


Kunst “mit Axt und Kettensäge, Hammer und Meißel”

Am 3. November 2017 wird im Offenen Haus Oberwart die Ausstellung “Eine Begegnung” mit den Künstlern Erwin Moravitz aus Oberwart und Bernd Romankiewitz aus Bayreuth eröffnet. Zur Ausstellung spricht Wolfgang Horwath.

Die Künstler

Bernd Romankiewitz, der seit Jahren dem Holzschnitt verfallen ist, bearbeitet mit Axt und Kettensäge, Hammer und Meißel seine Holzplatten. Er wechselt Form und Farbe, kombiniert die Druckplatten, druckt sie auf Leinwände und verzichtet auf das typisch Serielle.

Völlig anders die Arbeit des Malers und Grafikers Erwin Moravitz, dessen Prädikat die Präzession ist. Subtile Farbflächen und Übergänge, größtenteils mit bloßer Handfläche und nicht mit Pinsel gestaltet, sind Merkmale seiner Werke. Damit erzielt er eine unglaubliche Perfektion der gemalten Fläche und der farbigen Übergänge.

Beide nehmen seit Jahren an den Rabnitztaler Malerwochen teil.

Ort und Zeit
  • Offenes Haus Oberwart, Lisztgasse 12, 7400 Oberwart
  • Vernissage: Freitag, 3. November 2017, 19.30 Uhr
  • Die Ausstellung ist von 3. bis zum 16. November 2017 zu besichtigen (Montag bis Freitag von 9 bis 14 Uhr, während Veranstaltungen und nach Vereinbarung).

Eintritt frei. Ausstellung in Kooperation mit dem eu-art-network und K.B.K. – Kultur.Bildung.Kunst.

Bibliotheken ohne Bücher: Xylotheken

“Bibliotheken ohne Bücher” war der Titel meiner Kolumne, die ich im Jahr 2015 für die österreichische Bibliothekszeitschrift “Büchereiperspektiven” schrieb. Einer der Texte befasste sich mit Xylotheken und passt daher sehr gut in dieses Blog.

Reinhard Stiksel: Ein Stück aus der “Xylothek” – Aus der Sammlung der Sternwarte im Stift Kremsmünster, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0.

Dass Bibliotheken und Bücher mit Bäumen zu tun haben, ist bekannt – nicht nur wegen des Wortes „Buch(en)stabe“, sondern auch weil Papier ja aus Holzschliff beziehungsweise Zellstoff hergestellt wird. Es gibt aber Bücher, die einfach holziger sind als andere – diese sollen hier vorgestellt werden.

Es gibt wohl kaum Bibliotheken, bei denen die äußere Form so sehr mit dem Inhalt korrespondiert wie bei den “Xylotheken”.

Die Bände dieser Holzbibliotheken bestehen nämlich aus jenen Materialien, mit denen sie sich beschäftigen: Jeder Holzkasten ist aus einer anderen Baumart gefertigt. Vorder- und Rückdeckel der Kästen sind aus Holz, der Buchrücken wird mit Rinde, Moos, Schwämmen oder Flechten verziert. Im Inneren verbergen sich übersichtlich arrangierte Zweige desselben Baumes mit Blättern oder Nadeln, Blüten und Früchten, teilweise auch mit Holzwürfeln und Sägespänen. In kleinen Döschen können Blütenstaub, Samen oder Holzasche aufbewahrt werden. Manchmal wurden sogar die für den jeweiligen Baum typischen Forstschädlinge beigegeben – als Beispiel seien die so passend benannten Käferarten “Buchdrucker” und “Kupferstecher” genannt, die Fichten bevorzugen. Abgerundet wird der Inhalt der “Buchattrappen” durch die lateinische und deutschsprachige Bezeichnung der dargestellten Pflanze und eine Kurzbeschreibung. Diese Holzbücher richten sich vor allem an Menschen, die in der Forstwirtschaft und der Holzverarbeitung tätig sind, und zeigen ihnen anschaulich die wichtigsten Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten von Baum und Holz. Gleichzeitig ist jeder Band in einer Xylothek ein kleines Kunstwerk, dessen sorgfältige und detailreiche Verarbeitung auch Nicht-Forstleute beeindruckt.

Xylotheken sind ein Phänomen der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Da die Herstellung aufwendig und der Preis hoch war, wurden die meisten Exemplare von großen Forstbetrieben und forstlichen Ausbildungsstätten erworben. Umfangreiche Beispiele sind unter anderem im Biologiezentrum des Oberösterreichischen Landesmuseums, in der Botanik-Abteilung des steirischen Landesmuseums Joanneum, in der Sternwarte im Stift Kremsmünster, im Naturhistorischen Museum des Stifts Admont und im Museum für das forstliche Versuchswesen in Wien-Mariabrunn erhalten.

Links

Verzeichnis von Holzbibliotheken: www.specula.at/adv/monat_9712.htm
Aufbau eines Holzbuches: www.naturkundemuseum-kassel.de/museum/wissenswert/holzbuch/index.php
Hohenheimer Xylothek digital: www.uni-hohenheim.de/uniarch/Xylothek%20_%20Seite/Xylothek_index.html


Seminar “Im Wald sind viele Worte – Waldpädagogische Textwerkstatt für Kinder und Jugendliche”

Seminar “Im Wald sind viele Worte – Waldpädagogische Textwerkstatt für Kinder und Jugendliche”

Mit dem Wald lernen Kinder und Jugendliche einen neuen Lebens- und Erfahrungsraum kennen. Die schriftliche Schilderung des Erlebten ist sinnstiftend für das einzelne Kind und gemeinschaftsbildend, wenn in einer Gruppe ein Text gemeinsam erarbeitet wird. Dabei entwickelt sich vor allem auch eines: der emotionale Bezug der Kinder und Jugendlichen zum Wald. In diesem waldpädagogischen Seminar wollen wir unter besonderer Berücksichtigung des Lebens- und Erfahrungsraums Wald Möglichkeiten kennenlernen, mit Kindern Wörter zu finden, Ideen zu haben und Geschichten zu schreiben.

Programm

9.00 bis 9.10 Uhr Begrüßung. DI Martin Krondorfer, Forstliche Ausbildungsstätte Pichl
9.10 bis 12.30 Uhr Impulsreferate:

Ein kurzer Überblick über die Grundlagen der Sprach- und Schreibförderung bei Kindern
Mögliche Inhalte und Themen zum Wortefinden, Dichten und Schreiben mit Kindern im Wald.
Kreative Dicht-, Schreib- und Arbeitstechniken im waldpädagogischen Umfeld.

13.30 bis 17.30 Uhr Praxis im Forstgut Pichl:

Erproben von verschiedenen für waldpädagogische Führungen geeignete Wort- Schreib- und Zeichenübungen.
Im Austausch mit den anderen Kursteilnehmer/innen konkrete, für die eigenen Interessen geeignete Spiel- und Schreibsituationen entwickeln.

ReferentInnen

Dr. Susanna Harringer, Lektorin und Übersetzerin
Wolf Peterson, Verlag Guthmann- Peterson, Wien
Julia Pfeiffer, BA, Skandinavistin und Übersetzerin von Kinderbüchern

Organisatorisches:

Seminarbeitrag*: € 60,00 (gefördert), € 100,00 (ungefördert).
Verpflegung: € 16,30 (inkl. Getränke)
Termin: Freitag, 4. August 2017
Ort: Forstliche Ausbildungsstätte Pichl, St. Barbara im Mürztal
Dieses Seminar ist auch Bestandteil der Waldpädagogikausbildung und wird als Modul D (10 Stunden) anerkannt.


Ich liebte den Wald

Ich liebte den Wald, die Wiese, die Blumen ebenso sehr wie das Lesen, und wenn man mir die Natur durch das Lernen verständlich gemacht hätte, hätte ich sicher daraus ebenso viele Eingebungen geschöpft wie aus der Welt der Fiktion.

Malwida von Meysenbug: Memoiren einer Idealistin (1876)


Ein Stück Rinde, eine Blume, einen Fels

Ein Stück Rinde, eine Blume, einen Fels kann ich ertasten, geistig begreifen. Der Wald ist mir etwas Greif- und Begreifbares. Zwar ändert er auch jedes Jahr sein Gesicht, ob unter den Händen des Forstmannes, durch Naturereignisse oder durch sein Wachstum, das langsam menschliche Generationen überdauert. Aus Kulturen werden Dickungen, Stangenhölzer, Baumhölzer, die nach ihrer Umtriebszeit wieder den Platz der Jugend räumen müssen. Das ist das ewige Werden und Vergehen. Die Berge sind mir greif- und begreifbar in ihrer Entstehung vor Urzeiten, mit dem Wissen, dass sie irgendwann durch Verwitterung und Erosionen verschwinden werden.

Aus: Gerhard Berger: Gedanken im Herbst: Ein Harzer Forstmann und Jäger erinnert sich. Schmidt-Verlag 2013


Ein heller Blitz zuckt in den Föhrenwald

Erste Tropfen fallen.
Die Blätter der Obstbäume biegen sich.
Torfstaub wirbelt im Moor auf.
Die Birken biegen sich.
Blitze durchzucken den Himmel, durchflammen ihn.
Schrille Knalle ängsten die Tiere.
Wehe euch Bienen, die ihr nicht rechtzeitig heimgekommen seid!
Einige, die im Moore geweidet hatten, trägt der Sturm gegen die Hütte, aber er jagt sie darüber hinaus, und sosehr sie sich auch plagen, sich aus seinen kräftigen Armen zu befreien, sich zum Korbe zu retten – es gelingt ihnen nicht. Er wirft sie auf die Erde, ins Gras, in den Saatacker, in die Gräben, in den Moorbach.
Ein heller Blitz zuckt in den Föhrenwald vor dem Dorfe. Ein Knall, vor dem die Erde zittert, Feuer loht zum Himmel.
Eine Föhre brennt, und die Flammen bedrohen ihre Nachbarinnen.
Aber knapp nach dem zündenden Blitze fällt schwerer Regen, und das Feuer verlischt.
O die armen Bienen, die das Heim nicht mehr erreicht hatten! Was wird mit ihnen geschehen?

Aus: Georg Rendl: Der Bienenroman. Leipzig: Insel-Verlag 1931


Knarren windgebeugter Äste. Die Geräusche des Waldes

Der Oberst blieb still sitzen und wartete auf den neuen Tag. Zum ersten Male in seinem Leben lernte er die Geräusche des Waldes kennen. Fünfzehn verschiedene Geräusche unterschied er in jener Nacht. Er zählte sie, eines nach dem anderen:

  1. Ab und zu unbestimmtes, dumpfes Grollen, das aus dem Innern der Erde zu kommen schien; es war, als kündigte sich ein Erdbeben an.
  2. Blätterrauschen.
  3. Knarren windgebeugter Äste.
  4. Rascheln trockenen Laubes am Boden.
  5. Geräusch fallender trockener Zweige, Blätter und Tannenzapfen.
  6. Ganz in der Ferne das Rauschen eines Baches oder Stromes.
  7. Geräusch wie von einem großen Vogel, der ab und zu mit lärmendem Flügelschlag auffliegt (vielleicht ein Auerhahn).
  8. Geräusche von Säugetieren (Eichhörnchen, Marder, Füchse oder Hasen), die durch den Wald ziehen.
  9. Klopfen von Insekten, die die Baumstämme anbohren oder auf ihnen entlanglaufen.
  10. In langen Zwischenräumen das Summen einer großen Mücke.
  11. Ein Rascheln, das wahrscheinlich von einer nächtlich herumkriechenden Schlange stammt.
  12. Der Ruf einer Eule.
  13. Das leise Lied der Grillen.
  14. In der Ferne Geheul und Klagen eines unbekannten Tieres, das wahrscheinlich von Eulen oder Wölfen angegriffen wird.
  15. Ganz und gar geheimnisvolle Quiek- und Kreischlaute.

Aber zwei- oder dreimal in jener Nacht wurde es auch ganz still; das feierliche Schweigen der uralten Wälder trat ein, eine Stille, sie sich mit keiner anderen auf der ganzen Welt vergleichen läßt und die nur sehr wenige Menschen je kennen gelernt haben.

buzzati-geheimnis-alten-waldes Quelle: Dino Buzzati: Das Geheimnis des alten Waldes. Roman. Berlin / Wien / Leipzig: Paul Zsolnay Verlag 1948, S. 106-107. Übersetzung aus dem Italienischen von Antonio Luigi Erné

Weitere Ausgaben (Auswahl):

  • Originalausgabe: Il segreto del bosco vecchio (Milano: Fratelli Treves 1935).
  • deutsche Ausgaben in der Übersetzung von Bettina Kienlechner: Thienemann 1986; Weitbrecht 1997; Fischer Taschenbuch 1989 / 1999
  • weitere italienische Ausgaben: Garzanti 1961 / 1970 / 1977 (in einem Band mit “Bàrnabo delle montagne”); Mondadori 1993 / 2002